Vertrauen – im Wissens°raum, in die Wissenschaft, in Menschen

Warum schaut der Wissens°raum so aus, wie er aussieht? Und was hat das mit Vertrauen zu tun? Das hat Sonja im ersten Teil ihres Gesprächs mit der Konzeptkünstlerin und Politikwissenschaftlerin Jeanette Müller herausgefunden.

Ein Gespräch mit Jeanette Müller (Teil 1)

Von Sonja Ornella Schobesberger

Es ist Donnerstag, der 01. Juli 2021. Ich sitze vor dem Laptop, starte das Online-Meeting und plötzlich erscheint Jeanette Müller in ihrem Wohnzimmer am Bildschirm. Sich selbst, was sie macht in wenigen Worten zu beschreiben, findet sie schwierig: „Ich bin forschende Künstlerin“, sagt sie. „Die Studien auf der Universität für Angewandte Kunst und der Akademie der Bildenden Künste waren aber nicht genug. Vielleicht war das Judaistik-Studium bei Prof. Schubert, bei dem die Kultur der hinterfragenden und wohlwollenden Gespräche im Vordergrund standen, am prägendsten.“ Sie arbeitet vor allem mit Installationen, Skulpturen, Performances, Fotografien/Collagen und Texte um Ausstellungen zu machen. Da ihr dabei wichtig ist, Themen durch Kunst zu transportieren, die ihr wesentlich für unsere Gesellschaft und zeitgemäß erscheinen, ist es praktisch, dass sie auch Politikwissenschaft studiert hat. Und besonders spannend: Sie hat das Aussehen der Wissens°räume geplant und umgesetzt!

Der weite Blick

Vor allem im ersten Teil unseres Gesprächs geht es um Vertrauen. Jeanette beginnt zu erklären: „Was ich schon früh erfahren habe ist, dass uns alle, alle Menschen etwas sehr verbindet. Nämlich dass wir sehr verletzlich und zerbrechlich sind und dass wir uns gegenseitig brauchen. Es gibt ein gemeinsames Zuhause und zwar diesen Planeten.“ Sie interessiert sich für die vielen Zusammenhänge zwischen verschiedenen Dingen und für Komplexität. „Was aber manchmal auch wichtig ist, ist der Blick auf kleine Ausschnitte. Mich interessiert vor allem, wie man verbindet und wie wir es schaffen können, uns in Komplexität und in Unsicherheit zu bewegen.“

Wissens°raum zu Gast im Stand 129, Viktor-Adler-Markt, 1100 Wien, August – Dezember 2016

Vertrauensräume

In Jeanettes Arbeit geht es viel um Räume, in welchen Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Backgrounds aufeinander und sich treffen können. Unter dem Begriff Raum versteht sie sowohl einen tatsächlich gebauten, architektonischen Raum, wo Menschen mit allen ihren Sinnen verschiedenste Eindrücke wahrnehmen können, als auch so etwas wie eine Atmosphäre, eine Möglichkeit. Hier kann es zum Beispiel auch darum gehen, transkulturelle Kommunikation zu vereinfachen. Und ich will nun von Jeanette wissen, was sind die Ideen dazu, was muss man beachten und wo hat sie das konkret umgesetzt?

„Ich habe in meiner Dissertation über die Bedeutung von Vertrauen in Innovationsnetzwerken geschrieben. Innovationen basieren immer auf Kreativität. Ohne Kreativität, ohne dem Wunsch, der Sehnsucht, den Willen, den Möglichkeiten Neues zu schaffen oder Bestehendes neu zu kombinieren, entstehen keine Innovationen. Und für Kreativität sind Vielfalt, unterschiedliche Menschen, Ideen und Zugänge essentiell. Aber es braucht auch Kooperation und Vertrauen. Das tut sich aber in homogenen Gruppen leichter – leider. Also zwischen Menschen, welche sehr viele gemeinsame Nenner haben. Ich habe mir dann gedacht, das ist schade – und auch einschränkend, denn Innovationen brauchen gerade Heterogenität, Irritation, Ungewohntes. Wie kann man das also verbinden und ermöglichen?“

„Was mir große Freude macht,

ist Möglichkeiten zu schaffen“

– Jeanette Müller

Mit den richtigen Rahmenbedingungen! Laut Jeanette sollte man sich auch auf ungewohntem Terrain wohlfühlen können. „Eine Mischung zwischen etwas, das man bereits kennt, wo man Sicherheit spürt, wo man quasi zu Hause ist, und neuen Anreizen ist ideal. Aber wenn etwas nur neu ist, nur anders, als man es bereits kennt, dann reagieren wir eher mit Zurückhaltung und Ablehnung. Es ist nicht einfach, in neue Räume reinzugehen (sowohl echte Räume wie auch Situationen), wenn man das Gefühl hat, man wird dort bewertet, man muss zuerst beweisen, dass man zugehörig ist. Da braucht es schon sehr viel Selbstvertrauen und Neugier, dass einen das sehr reizt, aber meistens reagiert man mit Unbehagen.“

Jeanette erzählt mir, dass man in allem Möglichen Bekanntes finden kann: In Mimik, Gestik und Formen der Verständigung, in Sprache, in Gegenständen, die man kennt, in Anordnungen, Farben, Lichtstimmungen oder in Gerüchen. „Menschen können sich unter unterschiedlichen Bedingungen anders verhalten; sich Wohlfühlen im Gegensatz zu sich bedroht fühlen. Wenn ich mich bedroht fühle, ist mein Spielraum kleiner, ich bin weniger großzügig, weniger aufmerksam, kann weniger gut zuhören. Ich kann weniger geben. Vertrauen ist aber ein Geschenk, eine Vorausleistung. Man kann nie sicher sein, ob es gerechtfertigt ist, Vertrauen zu haben bzw. zu geben. Wäre man sich absolut sicher, wäre es kein Vertrauen mehr.“

Der Wissens°raum als Trustroom

Trust ist das Wort für Vertrauen in Englisch. Jeanettes Konzept namens „Trustroom“ soll nun eben ein Raum sein, in dem Vertrauen leichter ermöglicht wird. Und das Coole dabei ist: Für Jeanette war damals wichtig, als sie den Wissens°raum gestaltet hat, dass er ein „Trustroom“ wird. „Ich habe versucht Elemente zu verwenden, die alle kennen. Es geht im Wissens°raum ja doch auch um viel Neues, um Inhalte und wissenschaftliche Zugänge, die nicht alle kennen. Dann braucht es irgendetwas Bekanntes. Der Wissens°raum sollte gleichzeitig Wohnzimmer, Labor und Werkstatt sein. Wir hatten ein Sponsoring von Ikea und deren Design ist ja inzwischen ein interkultureller Code, die Einrichtungen kennt fast jede und jeder. Weit verbreitete und doch für den Wissens°raum passende Möbelstücke habe ich bewusst genutzt.“ Meiner Meinung nach ein genialer Weg!

Jeanette Müller bei den Vorbereitungen zur „Safe Disco – Tanz den Kapitalismus“, einer Ausstellung von MUELLER-DIVJAK im Jahr 2020

„Ich halte es für unglaublich wichtig für die Gesellschaft, dass die unterschiedlichsten Menschen sich einbringen und mitgestalten können, etwas begreifen und hinterfragen können, nicht alles glauben müssen, sondern sich ihre Werkzeuge für die Beschaffung von Informationen aufbauen und Behauptungen von robustem Wissen unterscheiden können.“

-Jeanette Müller

„Natürlich kommt aber auch mein ästhetischer Anspruch hinzu. Da sind zuerst die Fragen: Wie gestalten wir das Logo? Was sind die Farben des Wissens°raums? –  Die Einrichtung habe ich darauf abgestimmt. Die Möbel, Teppiche usw. haben zum Beispiel entsprechende Formen und Farben. Und in den kreativen Workshops, die ich mit den zukünftigen Nutzer*innen des WR gemacht habe, haben sie ebenfalls hauptsächlich diese Formen und Farben verwendet, um eigene Spuren im WR zu hinterlassen.

Und was ist noch wichtig zu beachten? „Aus Studien wissen wir, wenn ein Raum oder ein Grätzl verwüstet oder dreckig ist, wird es noch dreckiger. Wenn es gepflegt ist, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Menschen sorgsam damit umgehen. Daher ist es eigentlich überall und somit auch im Wissensraum wichtig, dass Ordnung und Gepflegtheit da sind, mit Pflanzen, und einer schönen Wohlfühlatmosphäre, in der man mit sich selbst, mit anderen und mit den Dingen sorgsam umgeht.“ Wenn ich Jeanette also richtig verstehe, geht es ganz oft um Achtsamkeit, mit den Mitmenschen und mit dem Raum, in welchem man ihnen begegnet.

Ich finde es super spannend, dass die Gestaltung von Räumen ein Werkzeug sein kann, um es dem Vertrauen und der Kreativität leichter zu machen.

Im zweiten Teil unseres Gesprächs gehen wir noch mehr darauf ein, welche Themen Jeanette bewegen und inspirieren, was Unterschiede zwischen Kunst und Wissenschaft sein könnten und was man mit ihnen erreichen könnte. All das findet ihr im nächsten Beitrag des Wissens°raum-Blogs.

Übrigens: Wenn ihr mehr über Trustrooms und Jeanettes Kunstprojekte erfahren wollt, dann klickt auf diese Links:

JEANETTE MÜLLER – Trustroom

MUELLER-DIVJAK – Art & Research

Glossar
  • transkulturell… „trans“ ist eine lateinische Vorsilbe. Wenn sie mit einem anderen Wort verbunden wird, dann will man damit sagen, dass etwas über mehrere Kategorien hinausgeht oder sie verbindet. Und um welche Art von Kategorie es sich handelt, sagt einem das zweite Wort. In diesem Fall „Kultur/kulturell“.
  • zeitgemäß… passend zur heutigen Zeit
  • Innovation… Es passiert dann Innovation, wenn neue Ideen und Erfindungen in Projekte verwandelt und verwendet werden.
  • Dissertation… eine wissenschaftliche Arbeit, die man schreiben muss, um den Doktorgrad zu erlangen
Titelbild

© MUELLER-DIVJAK.art

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